Beobachtungstipp im November 2008

"Es gibt zwei Arten von Astronomen: Die einen beschäftigen sich mit dem Krebsnebel und die Anderen!" stellte unlängst ein bekannter Astronom fest. Diese nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung deutet aber das tiefe wissenschaftliche Interesse an Messiers erstem Katalogeintrag an. Sehr vielschichtig sind deshalb die Untersuchungen am Krebsnebel, dessen geschichtliche und wissenschaftliche Bedeutung unermesslich ist. Die Geschichte um Messier 1 (M1), dem Krebsnebel, begann am 4. Juli 1054. Der Krebsnebel befindet sich übrigens nicht im Sternbild Krebs, sondern gehört zum Sternbild Stier. Seinen Namen verdankt er seiner außergewöhnlichen Form. Aber zurück in die Vergangenheit. An jenem 4. Juli registrierten chinesische Astronomen einen neuen hellen Stern am Taghimmel. Schätzungen belaufen sich auf eine Helligkeit von -6,0 Mag - sechsmal heller als die Venus im vollen Glanze. Indianerstämme in Nordamerika, vor allem die Anaszasi und Navajo, nahmen ebenfalls Notiz von der hellen Himmelserscheinung. Der tiefe Eindruck den der helle Stern, der über 23 Tage zu sehen war, hinterließ, kann man sich ausmalen, wenn man bedenkt, dass dieses Ereignis bis in unsere Epoche getragen wurde. In Europa nahm offensichtlich niemand Notiz davon. Vermutlich war der Gedanke des unveränderlichen Sternhimmels in den Köpfen der mittelalterlichen Gelehrten so manifestiert, dass sie das Gesehene ignorierten und als optische Täuschung abtaten. Vielleicht war aber auch das Wetter an der verpassten Gelegenheit schuld.

Krebsnebel
Krebsnebel M1 (Supernovaüberrest aus dem Jahr 1054)

Im folgenden Winter, in dem man die Himmelsregion bei Nacht observieren konnte, zeigte keine Auffälligkeiten am Ort des neuen Sterns, dessen helles Licht bereits erloschen war. Während die Chinesen schon einige Jahre zuvor auf neue Sterne am Himmel aufmerksam wurden und einige Supernova-Erscheinungen in ihren Aufzeichnungen festhielten, so sollten noch über 500 Jahre ins Land gehen, bis ein Europäer zum ersten Male von einer Supernova berichten würde. Der erste Europäer war kein geringerer als der Däne Tycho DeBrahe, der im Jahre 1572 "seinen neuen Stern" entdeckte.

Achtzehn Monate lang war Tychos Stern zu sehen und veränderte das Sternbild Cassiopeia auf ungewöhnliche Weise. Sein Versuch eine Parallaxe zu messen scheiterte. Er schloss daraus, dass der Stern weit außerhalb des Sonnensystems anzusiedeln sei. So richtig dieser Ansatz auch war, eines stimmte nicht. Es handelte sich keinesfalls um einen neuen Stern. Auch die Supernova von 1604, die von Johannes Kepler im Sternbild Schlangenträger gesichtet wurde, war definitiv kein neuer Stern. Die moderne Astronomie steckte allerdings noch in ihren Kinderschuhen und es dauerte noch einige Zeit, bis man sich mit dem Problem der Nova-Erscheinungen auseinandersetzte.

Im Jahre 1731 richtete der Amateurastronom und Physiker John Nevis sein Fernrohr zum Himmel. Etwas nördlich des Sterns Zeta Taurus entdeckte er ein kleines diffuses Nebelchen. Siebzehn Jahre später, am 28. August des Jahre 1758 stieß auch der Franzose Charles Messier, der von seinem König Ludwig XV scherzhaft als sein Kometenfretchen betitelt wurde, auf das diffuse Objekt. Zunächst vermutete er die Entdeckung eines Kometen, als er jedoch keine Bewegung des Objekts am Himmel feststellte, verwarf er den Gedanken. Schließlich traf er den Entschluss, Objekte nebeliger Natur, die offensichtlich keine Kometen sind, zu katalogisieren um damit ärgerlichen Verwechselungen vorzubeugen. Somit nahm Charles Messier den Krebsnebel als erstes Objekt, Messier 1, in seinen später 110 Objekte umfassenden Katalog auf.

Die Bezeichnung Krebsnebel geht auf William Parsons, der dritte Earl of Rosse (1800-1867), kurz Lord Rosse, zurück. Lord Rosse, ein irischer Astronom und Privatgelehrter, observierte den Himmel von seinem Stammsitz Birr Castle mit Hilfe des Leviathan, einem 73-zölligem Teleskop. Der Earl of Rosse fertigte im Jahr 1844 eine Zeichnung des faserigen Objekts an, das in Form und Erscheinung einem Krebs ähnelte.

Während man im 19. Jahrhundert keine Erkenntnisse über nebelige Sterne und auch Supernova-Ereignisse gewonnen hatte, lieferte die Astronomie des 20. Jahrhunderts wichtige Ergebnisse. Die Fotographie und die Spektralanalyse hielten Einzug in die wissenschaftliche Erkundung des Weltalls. Zu den wichtigen Erkenntnissen gehörte, dass die "neuen Sterne" gar keine neuen Sterne waren. Viel mehr, so erkannte man, ist die Supernova das letzte Aufflammen eines vergehenden Sterns. Je nach Masse des Sterns verläuft dessen Ende dramatisch und unter Umständen kann die Leuchtkraft des vergehenden Sterns einen bedeutenden Anteil an der gesamten Leuchtkraft eines Milchstraßensystems haben, wenn auch nur für kurze Zeit.

Nach wenigen Wochen bleibt der Supernovaüberrest zurück - eine Schale aus Gas und Staubfetzen, die von der heißen Asche des Sterns, der nun zu einer kompakten Kugel geworden ist, noch zum Leuchten angeregt wird. Die Gas- und Staubfetzen entfernen sich vom Zentrum der Nova-Explosion mit mehreren 1.000 km/s und treffen dabei auf das interstellare Medium (Gas und Staub zwischen den Sternen). Die entstehende Schockwelle heizt das Material auf, so dass sogar Röntgenstrahlung emittiert wird. Im Zentrum befindet sich ein weißer Zwerg, ein Neutronenstern oder vielleicht sogar ein Schwarzes Loch, wenn es ein ganz großer Stern war, der dort sein letztes Licht in den Kosmos sendete.

Der Astronom Walter Baade (1893-1960) untersuchte 1942 den Krebsnebel und kam zu dem Ergebnis, dass dieser Nebel der Rest einer Supernova ist, die vor ungefähr 800 Jahren stattgefunden haben muss. Die Ausdehnung, sowie die Ausdehnungsgeschwindigkeit waren bekannt und somit scheint es kein Problem das Alter des Nebels zu ermitteln.

M1 erscheint am Himmel als 4x6 Bogenminuten großes Nebelfeld. Die Entfernung zum Sonnensystem wurde mit 6.300 Lichtjahren angegeben. Die wahre Größe liegt dann bei 10 Lichtjahren im Durchmesser. Mittels spektroskopischer Untersuchung des Nebels wurde die Expansionsgeschwindigkeit gemessen. Dazu wird die Doppler-Methode verwendet, die selbst bei Geschwindigkeitsmessungen der Polizei zum Zuge kommt. Die Messung ergab eine Geschwindigkeit von 1.800 km/s (abzüglich der 3 km/h Toleranz, die die Polizei auch immer zugesteht :-)

Kombiniert man diese Daten, so erhält man ein Nebelalter von etwa 833 Jahren. Der Geschichtsforscher J. Duyvendak fand 1942 in einer chinesischen Schriftquelle der Sung Shih-Dynastie die Aufzeichnung der Supernova vom 4. Juli 1054 in der Nähe des Sterns zeta Taurus. Das passte hervorragend und man war sich sicher, dass der Krebsnebel der Supernovaüberrest der Supernova vom 4. Juli 1054 ist.

In den 40 Jahren des 20. Jahrhunderts eröffnete sich eine weitere Möglichkeit der astronomischen Beobachtung - die Radioastronomie. In den nächsten Jahren wurden weitere Bereiche des elektromagnetischen Spektrums für die astronomische Beobachtung zugänglich. Heute beobachtet der Astronom in allen sichtbaren und unsichtbaren Wellenlängenbereichen des Lichts, von der langwelligen Radiostrahlung bis hin zur harten, energiereichen Gammastrahlung. Der Krebsnebel, ein gut zu beobachtendes Objekt am Himmel, wurde natürlich in vielen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums untersucht. Er erwies sich als Quelle starker Radiostrahlung und als Röntgenquelle am Himmel. Auch im Gammabereich sendet der Krebsnebel Strahlung aus. Das Leuchten des Krebsnebels ist das Ergebnis vieler Faktoren und natürlich der Grund für das ausgeprägte Interesse der Astronomen. So zeigen sich Komponenten eines normalen Planetarischen Nebels, bei denen das Gas der Hülle des Nebels einfach durch den heißen Neutronenstern im Zentrum des Nebels zum Leuchten angeregt wird. Zu dieser Komponente zählen die filamentartigen Strukturen, die wie ein Netz den Nebel durchziehen. Eine weitere Komponente ist ein diffuses Hintergrundleuchten, die durch schnelle Elektronen im Magnetfeld des Neutronensterns entsteht. Die Elektronen werden dabei durch das Magnetfeld beschleunigt und senden die so genannte Synchronotronstrahlung (Bremsstrahlung) aus. Diese macht sich als polarisierte Strahlung besonders im Radiobereich bemerkbar. Polarisierte Strahlung von Elektronen, die durch ein starkes Magnetfeld beschleunigt werden sind im Kosmos eine nicht allzu seltene Erscheinung.

Die kleineren Pendants dieser Elektronenbeschleuniger, zumindest was die Wirkungsweise angeht, sind die Teilchenbeschleuniger in den Kernforschungslaboren der Physiker auf der Erde. Doch erreichen die iridischen Labore nicht im Geringsten die Energie der außerirdischen Quellen. Die Erforschung der Neutronensterne begann mit der Entdeckung der Pulsare im Jahre 1967. Der Krebsnebel beinhaltet einen solchen Pulsar, der nichts anderes ist als ein schnell rotierender Neutronenstern. Der Name Pulsar rührt von dem Ausdruck "pulsierend" her. Doch bisher haben wir keinen Mechanismus kennengelernt, der diesen Namen rechtfertigen könnte. Schließlich rotiert der Neutronenstern, er pulsiert ja nicht.

Pulsare verdanken ihrer Entdeckung einem Zufall. Die junge Studentin Jocelyn Bell unternahm 1967 einige Testmessungen am neuen Mullard-Radioteleskop. Jocelyn Bell war 1965 zum Team des Astronomen Antony Hewish gestoßen und war für die Anordnung der Antennen des Teleskops zuständig. Beim Testbetrieb stieß Bell auf eine merkwürdige Radioquelle, die in regelmäßigen Abständen einen Impuls sendete. Die Impulse lagen im Bereich von Sekunden (heutige Messungen an Pulsaren liefern Impulsfrequenzen von wenigen Millisekunden). Eine derartige Quelle hatte man nie zuvor beobachtet. Spekulationen, die eine außerirdische Intelligenz für das Phänomen verantwortlich machten, standen zur Debatte. So war der Konferenzraum, in dem die Pulsare der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, mit grünen Püppchen geschmückt. Doch die Anhänger des SETI-Projektes (suche nach außerirdischem Leben) hatten kein Glück. Es fand sich eine natürliche Erklärung für das Problem, sehr zur Freude der Physiker.

Bei Pulsaren handelt es sich um schnell rotierende Neutronensterne. Neutronensterne sind wiederum die Asche vergangener Sterne, deren Restmasse größer als 1,4 Sonnenmassen ist. Diese Sterne bestehen aus "Neutronenbrei" (einer sehr exotischen Materieform). Das Einzige was an den ursprünglichen Stern erinnert, ist die Rotation des Körpers. Der Satz der Drehimpulserhaltung sorgt dafür, dass der Stern sehr viel schneller rotiert. Wie eine Eiskunstläuferin, die die Arme an den Köper schmiegt, um bei der Pirouette in Fahrt zu kommen, dreht sich der schrumpfende Sternenkörper immer schneller und schneller. Im Stadium des Neutronensterns hat der Stern seinen Durchmesser von mehreren Millionen Kilometern auf 10km reduziert und dreht sich mehrere Male pro Sekunde um die eigene Achse!

Eine weitere markante Eigenschaft von Pulsaren ist ein starkes Magnetfeld, dass aber nicht unbedingt parallel zur Rotationsachse ausgerichtet sein muss. Magnetischer Nord– und Südpol liegen dann nicht zusammen, wie bei der Erde, beim geographischen oder siderischen Nord- und Südpol des Sterns. Die magnetischen Pole sind starke Quellen der Radiostrahlung, die durch die Synchrontronstrahlung entsteht. Die magnetischen Pole drehen sich mit dem Stern, so dass die Radiostrahlung wie das Licht eines Leuchtturms in den Kosmos gestrahlt wird. Bei einer von der Erde aus gesehen günstigen Position des Sterns, überstreift uns nun der Radiostrahl einmal pro Umdrehung. Wir werden dann also mehrmals pro Sekunde von einem Radiostrahler angeleuchtet. Der Stern erscheint uns als pulsierende Radioquelle, als Pulsar.

Im Jahre 1968 wurde der Krebspulsar entdeckt und untersucht. Gute dreißig Radioimpulse schickt er uns pro Sekunde. Der noch recht junge Pulsar dreht sich also 30x pro Sekunde um die eigene Achse. Der Stern 16. Größe blinkt sogar noch im sichtbaren Bereich, allerdings mit einer Geschwindigkeit, die es dem menschlichen Auge nicht ermöglicht das Blinken zu sehen. Neuste Untersuchungen brachten einen kleinen Gasjet zu Tage, der noch einige Rätsel aufgibt. Die Astronomen bleiben am Ball.

Der Krebsnebel ist für die Forschung ein interessanter Himmelskörper. Auch Amateuren ist der Nebel zugänglich. Bereits in kleinen Teleskopen kann er als diffuses Nebelchen oberhalb des Sterns zeta Taurus gefunden werden. Das strukturlose, ovale Wölkchen ist etwa 8,4 Mag hell. Mit modernen CCD-Kameras werden die Filamente des Nebels für den Amateurastronomen erreichbar. Eine Beobachtung über Jahre hinweg zeigt sogar Veränderungen innerhalb des Nebels, der sich ja weiterhin mit 1.800 km/s ausdehnt. Somit wird der Krebsnebel nicht nur für die Profis zum Forschungsobjekt. Charles Messier würde jedenfalls staunen, welch faszinierendes Objekt sein erster Katalogeintrag heute ist.

Clear Skies,
Christian Overhaus

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