Beobachtungstipp im Oktober 2009

Ein beliebtes Ziel für den Astrofotografen, aber auch für den visuellen Beobachter ist der Crescent-Nebel im Sternbild Schwan. Gute 2,5 Grad südlich des Sterns Sadr, der Brust des Schwans, finden wir in einer markanten Sternenkonstellation, die ein wenig an das Sternbild Cassiopeia erinnert, einen sichelartigen Nebel. Der Crescentnebel, der den Katalogeintrag NGC 6888 besitzt, ist nicht gerade hell. Obwohl er in unseren Breiten sehr gut zu beobachten ist, benötigt der visuelle Beobachter wegen der deutlichen Lichtverschmutzung in Deutschland doch ein Nebelfilter. Fotografen erreichen mit dem Einsatz von H-alpha-Filtern einen deutlichen Kontrastgewinn und können die feinen Strukturen des Nebels schön herausarbeiten.

Die Erscheinung des Crecentnebels legt den Vergleich mit dem ebenfalls im Schwan zu findenden Cirrusnebel nahe. Doch obwohl beide Nebel rein äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, ist ihr Ursprung dennoch sehr verschieden. Beim Cirrusnebel haben wir es mit einem Supernovarest zu tun. Der Crescentnebel ist ein Nebel, der von einem Wolf-Rayet-Stern abgestossen wurde. Ja, klar! Was auch sonst – wird sich der unbedarfte Hobbysterngucker sagen - ein Wolf-Rayet-Stern!?

Bevor wir darüber hinweggehen, ist es hier an der Zeit, einige Worte über diese doch recht seltene Sternklasse zu verlieren. Wolf-Rayet-Sterne sind nämlich richtige Knaller, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wolf-Rayet-Stern im Zentrum des Crescentnebels ist der Veränderliche V1770 Cyg. Wolf-Rayet-Sterne, kurz WR-Sterne, sind späte Sterne der Spektralklasse O oder B. Diese Sterne zeichnen sich durch eine sehr hohe Masse aus, welche ihnen eine große Leuchtkraft verleiht, die das Leben des Sterns auf wenige hundert Millionen Jahre begrenzt.

Diese Sterne sind die Verkörperung des Mottos "Lebe schnell, stirb jung!". Und ein solcher Stern befindet sich im Zentrum des Crescentnebels. Bei einem O-Stern setzt schon nach kosmisch kurzer Zeit das Schalenbrennen ein. Zuvor fusionierte er, wie unsere Sonne auch, den Wasserstoff im Zentrum zu Helium und anschließend zu schwereren Elementen. Dies ging jedoch, wegen der hohen Masse von 10 bis 50 Sonnenmassen, deutlich schneller von statten. Zum Erliegen kam die Fusion, als sich Eisen bildete. Von da an verbrauchte die Reaktion mehr Energie, als sie liefern konnte. Bis zum Eisen ist die Kernfusion sozusagen ein Selbstgänger. Die hohe Temperatur und der Druck, den die Masse auf den Kern ausübt, lässt die Fusion nun Schalenförmig um den Kern ausweiten, wobei die freiwerdenden Photonen, also die Teilchen des Lichts (!), einen Druck auf das umgebene Gas ausüben. Dieser Lichtdruck, wenn man ihn so nennen darf, sorgt dafür, dass der Stern einen "Supersternenwind" erzeugt, der viel Sternmaterie in den interstellaren Raum trägt. So verliert ein WR-Stern eine zehntausendstel Sonnenmasse pro Jahr. Das hört sich erst mal nicht so dramatisch an, doch mit der Zeit entledigt sich der Stern dabei immerhin um 40% seiner ganzen Masse. Als man WR-Sterne spektroskopisch untersuchte, fand man sehr breite Emissionslinien. Allein die Tatsache, dass man nur Emissionslinien vorfand, statt der von der Sonne auch bekannten Absorptionslinien, erstaunte die Fachwelt. Ebenso erstaunlich war, dass man keine Spur von Wasserstoff fand, wo doch Sterne in der Regel hauptsächlich aus Wasserstoff bestehen.

Emissionslinien entstehen, wenn ein Gas durch Strahlung oder hohe Temperatur zum Leuchten angeregt wird. Das Licht entspricht der Wellenlänge, die charakteristisch für das zum Leuchten angeregte Element ist. Bei den Absorptionslinien passiert genau das Gegenteil. Die Elemente vermögen Licht bestimmter Wellenlänge aufzunehmen und anschließend zu streuen. Einem Absorptionsspektrum fehlen scheinbar diese Wellenlängen des Lichtes.

Doch was bedeutet das für den WR-Stern? Das Vorhandensein von Emissionslinien lässt auf sehr hohe Temperaturen schließen, die durch starke UV-Strahlung erzeugt wird. In der Tat haben wir es mit Sternen zu tun, deren Oberflächentemperatur über 50.000°C Grad heiß ist. wobei der Begriff Oberfläche nicht zutreffend ist. Wir haben es eher mit einer diffusen Gaswolke zu tun. Die Leuchtkraft eines solchen Sterns kann die der Sonne um das Hunderttausendfache bis Millionfache übertreffen. Die Verbreiterung der Emissionslinien sind ein Hinweis auf große Geschwindigkeiten, die das emittierende Gas besitzt. Nur im Idealfall ist eine Emissionslinie wirklich nur eine Linie. Da die Gasteilchen aber mit hoher Geschwindigkeit unterwegs sind, verschmieren sie ihre Emissionslinien über einen größeren Bereich.

Im Falle der WR-Sterne sind Sternenwinde mit Geschwindigkeiten von 2.000 km/s keine Seltenheit. Mit hoher Geschwindigkeit wird also das Gas vom Stern weg getragen. Es ist deshalb schon kaum verwunderlich, dass ein WR-Stern, der sich schon so einem Großteil der Gesamtmasse entledigt hat, kaum noch Wasserstoff, das leichteste aller Elemente, aufweist. Wir haben es hier also mit einem Stern zu tun, der seine wasserstoffreiche Außenhülle bereits abgestoßen hat und die inneren Schichten frei gelegt hat. Hier unterscheidet man noch mal WN von WC-Sternen, je nachdem, ob wie im ersten Falle Stickstoff ("N") oder Kohlenstoff ("C") im Spektrum dominiert.

Doch richtig spannend wird die Geschichte im weiteren Verlauf. Was geschieht mit dem Stern, wenn die Fusionsmechanismen zum Erliegen kommen? Der Stern wird zu einer Supernova. Er kollabiert und leuchtet für einige Wochen heller als alle Sterne der Galaxis. Dabei werden Elemente bis zum schweren Uran erzeugt, die in den interstellaren Raum abgegeben werden. Bleibt nach der Supernovaexplosion ein Rest zurück, der schwerer als drei Sonnenmassen ist, so ist das Schicksal des Sterns besiegelt. Die unbarmherzige Kraft der Gravitation wird ihn zu einem stellaren Schwarzen Loch von nur noch 9km (!) Größe machen.

Und nichts und niemand kann ihm helfen. Die zuvor abgestoßene Materie, einst Wasserstoff, jetzt ein vielfältiger Mix aus allen Elementen, verteilt sich in der Galaxis und bildet vielleicht im kosmischen Recyclingprozess neue Planeten. (Kleiner Scherz am Rande: Wenn J. F. Kennedy behaupte: "Ich bin ein Berliner!", so kann jeder von uns behaupten: "Ich war ein Wolf-Rayet-Stern.")

Wenn wir den Crescentnebel aufsuchen und dabei den etwa 7,5 Mag hellen WR-Stern im Okular des Teleskops betrachten, sehen wir einen Stern im hoffungslosen Kampf gegen die Gravitation, die ihn unweigerlich zu einem Schwarzen Loch zusammenfallen lassen wird. Dabei entledigt er sich seiner Masse, wertvolle Zutaten für ein buntes, lebendes Universum. Ein Erbe, das in ferner Zukunft vielleicht andere Zivilisationen schätzen werden, sofern es sie gibt.

Die Supernovaexplosion wird aber zunächst die Nachbarschaft um den Stern sterilisieren. Für aufstrebendes Leben würde eine solche kosmische Katastrophe das Aus bedeuten. Unsere Erde hat in den letzten 4,5 Mrd. Jahren jedenfalls keine Supernovaexplosion erlebt. Kurz zuvor könnte aber gerade eine solche Supernova die Sternentstehung ausgelöst haben, die die Entstehung der Sonne anstieß...

Clear Skies,
Christian Overhaus

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