Beobachtungstipp im Juli 2017

Die meisten Sternkundlichen werden die Frage nach dem uns nächsten Sternensystem beantworten können. Klar, es ist Proxima Centauri im Alpha Centauri-System, das ca. 4 Lichtjahre von der Sonne entfernt zu finden ist. Das Sternbild des Centauren ist leider sehr südlich gelegen und wir Mitteleuropäer müssen schon eine Reise in Kauf nehmen, um dieses sehr schöne Sternbild sehen zu können.

Der uns nächste Stern bleibt also Beobachtern der Südhalbkugel vorbehalten. Der zweitnächste Stern bliebe uns noch. Fragt man die Sternkundlichen nach dem zweitnächsten Stern, so wird man wahrscheinlich doch auf die Fachliteratur oder der Recherche im Internet verwiesen. Die Nummer 2 ist nicht so prominent. Aber nicht weniger interessant und vor allen Dingen am Nordhimmel leicht zu beobachten...

Ich will es nicht länger spannend machen, es ist... Barnards Pfeilstern. Ich sehe schon die erstaunten Gesichter der Leser, die jetzt denken: Ach sooo! Na klar... Aber was ist Barnards Pfeilstern?

Im Jahr 1916 entdeckte der Astronom Edward Emerson Barnard bei der Untersuchung von Fotoplatten aus dem Jahr 1916 und dem Jahr 1894 einen Stern im Sternbild Schlangenträger, dessen Position sich um sagenhafte 4 Bogenminuten verschoben hatte. Ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist. Der uns zweitnächste Stern ist also der schnellste Stern an unserem Himmel. Überraschen mag das nicht. Ein Zug, der in weiter Ferne durch die Landschaft fährt, erscheint auch langsamer als wenn wir direkt am Bahnübergang stehen. Somit ist zu erwarten, dass ein nahestehender Stern eine große Bewegung am Himmel zeigt. Die Eigenbewegung von Sternen ist seit gut 300 Jahren bekannt. Der Astronom Edmund Halley vermutete bereits im Jahr 1718, dass der Sternenhimmel nicht unveränderlich ist und auch die Sterne am Himmel wandern. Somit dürfte sich der Begriff Fixstern überholt haben. (Obwohl in der deutschen Sprache der Begriff "fix" für "feststehend" und ebenfalls für "schnell", also gegenteilige Dinge, steht. Das muss man erstmal verstehen!). Halley, der alte Sternkarten aus der Zeit von Ptolemäus mit seinen Beobachtungen verglichen hatte, stieß auf die scheinbare Verschiebung von hellen Sternen, wie Arcturus, Aldebaran und Sirius. Nicht davon ausgehend, dass die frühen Astronomen grobe Beobachtungsfehler machten, schloss er richtigerweise auf eine Eigenbewegung der Sterne. Der erste Stern, dem eine Eigenbewegung direkt nachgewiesen wurde, war 61 Cygni im Jahr 1792 durch den Astronom Guiseppe Piazzi, der sich als Entdecker des ersten Kleinplaneten Ceres in der Neujahrsnacht 1801 in der Geschichte verewigte. Die große Eigenbewegung von 61 Cygni, die bei 5 Bogensekunden pro Jahr liegt, deutet schon auf die relative Nähe zur Sonne hin. Dem Astronom Friedrich Wilhelm Bessel gelang es im Jahr 1837 die Entfernung des Sterns durch die Bestimmung der jährlichen Parallaxe auf 9¼ Lichtjahre zu bestimmen. Der aktuelle Wert liegt bei 11,4 Lichtjahren.

Barnards Entdeckung stellt 61 Cygni aber in den Schatten. Der Barnard Pfeilstern bewegt sich mit 10,29 Bogensekunden pro Jahr doppelt so schnell. Die Entfernung zu uns ist mit 5,98 Lichtjahren knappe zwei Lichtjahre größer als die von Alpha Centauri. Eigentlich sollte der Stern ein richtiger Blickfänger sein... ist er aber nicht.

Barnards Stern ist nicht gerade die größte Leuchte am Himmel. Seine Helligkeit beträgt gerade mal 9,54 Mag. Seine Leuchtkraft erreicht gerade mal den 1/2270tel der Sonne. Der Radius des Sterns ist mit 140.000 Kilometern doppelt so groß, wie der des Jupiters. Barnards Pfeilstern ist soeben noch ein Stern, ein roter Zwergstern. Zwergsterne werden recht alt, weil sie sparsam mit ihrem Wasserstoffhaushalt umgehen. Untersuchungen der Zusammensetzung des Sterns lassen den Stern auf ein Alter von 11 Milliarden Jahren kommen.

Nach der Entdeckung des Pfeilsterns folgten seit den 30'er Jahren des 20. Jahrhunderts viele Beobachtungen, die im Jahr 1962 dem Astronomen Peter van den Kamp zur Entdeckung einer periodischen Oszillation verhalf. Die Periode von 25 Jahren und die geringe Amplitude sprachen für die Anwesenheit eines Planeten der doppelten Größe des Jupiters. Im Nachhinein bestätigte sich van den Kamps Beobachtungen nicht. Die erste Entdeckung eines extrasolaren Planeten musste bis zum Jahr 1995 warten. Van den Kamp hat das nur knapp verpasst, als er 93jährig im Mai 1995 verstarb. Die gefundene Oszillation von gerade mal 0,025 Bogensekunden war instrumentellen Fehlern zuzuschreiben. Nachbeobachtungen zeigten zwar ebenfalls Schwankungen in der Bewegung des Pfeilsterns, die jedoch nicht die Charakteristik eines Exoplaneten entsprechen. Barnards Pfeilstern bleibt also zunächst alleine. Seine scheinbare Bewegung am Himmel von 10,3 Bogensekunden entspricht einer relativen Geschwindigkeit zur Sonne von 140km/s. Die Messung der Radialgeschwindigkeit konnte auf 110km/s bestimmt werden. In Kombination errechnet sich daraus eine Geschwindigkeit von 178 km/s. Die gemessene Radialgeschwindigkeit ist übrigens negativ. Barnards Pfeilstern rast mit 110km/s auf uns zu. In etwa 10.000 Jahren wird er sich dem Sonnensystem auf 3,8 Lichtjahre genähert haben und seine Eigenbewegung auf über 25 Bogensekunden/Jahr gesteigert haben. Innerhalb von 70 Jahren würde er eine Vollmondbreite am Himmel zurücklegen. Seine Helligkeit wird die 8. Größenklasse erreichen und der Stern somit immer noch nicht ohne optische Hilfsmittel zu sehen sein.

Ich habe den Stern im Jahr 2003 mit den mir damals verfügbaren Mitteln aufgenommen. Die Kamera war eine Olympus Camedia 3000, die mittels Okularprojektion an ein 8"-SC-Teleskop angeschlossen werden konnte. Das waren meine ersten Schritte in Sachen "CCD-Astronomie" und die Ergebnisse sehen dementsprechend auch so aus.

Barnards Pfeilstern 2003
Barnards Pfeilstern, 8"-SC-Teleskop, Olympus Camedia (Okularprojektion mit Hilfe eines 40mm Okulars), 4. September 2003, Christian Overhaus

Diese Aufnahme konnte ich nach 14 Jahren wieder ausgraben und mit einer aktuellen Aufnahme vom Mai 2017 vergleichen. Die Kamera war eine Canon EOS 700DA in Kombination mit einem 8"-Newton-Teleskop. Mit einem Bildbearbeitungsprogramm fügte ich die beiden Aufnahmen zusammen und konnte neben den qualitativen Unterschieden auch die Eigenbewegung des Sterns nachweisen.

Barnards Pfeilstern 2017
Barnards Pfeilstern mit dem Inset der Aufnahme aus 2003, 8"-Newton-Teleskop, 31. Mai 2017, Christian Overhaus

Zwischen den beiden Aufnahmen liegen 5018 Tage. Die tägliche Eigenbewegung ist 0,028 Bogensekunden, die nur schwerlich nachzuweisen ist. Aber nach 5018 Tagen sollte sich der Pfeilstern bereits 141,5 Bogensekunden weiterbewegt haben. Mein optisches System dürfte eine Gesamtbrennweite von 860mm besitzen. Die Kamerapixel sind 4,3µm lang. Das entspricht einer Abbildung von 1,03 Bogensekunden pro Pixel. Rein theoretisch sollte sich der Stern also 137,4 Pixel fortbewegt haben. In der Praxis konnte ich einen Abstand von 138 Pixeln identifizieren. Das liegt zwar weit unter den Möglichkeiten von Amateuren der heutigen Zeit, aber bei der Berücksichtigung der unterschiedlichen Datenquellen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Es geht ja um die Sache :-).

Clear Skies,
Christian Overhaus

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