Beobachtungstipp im November 2018

Man könnte glauben, das Universum hätte Löcher. Auf der Suche nach einem schönen Fotomotiv im August 2018 stieß ich auf eine interessante Region im Sternbild des Adlers. Das Sternbild ist wunderschön inmitten des Milchstraßenbandes gelegen und enthält, neben der unermesslichen Zahl an Sternen, ebenfalls viele Nebel und Sternhaufen. Insgesamt 17 NGC-Objekte, hauptsächlich Planetarische Nebel, findet man im Sternbild des Adlers. Eine Übersichtsaufnahme zeigt neben den vielen Sternen aber auch einige Bereiche, die scheinbar dünner "besiedelt" sind.

Sternbild Adler
Das Sternbild Adler mit künstlerisch eingefügtem Vogel. An der rechten Flügelspitze findet man einen Bereich, dem offenbar Sterne fehlen. Fast könnte man meinen, der Urania ist ein Tintenfässchen ausgelaufen.

Es fehlen dort aber keineswegs Sterne. Viel mehr sind es dichte Staubwolken riesigen Ausmaßes, die dort das Licht der Sterne bedecken. Dieser Staub enthält eine große Menge an chemischen Verbindungen aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen und weiteren Elementen. Die Wolken sind eine sehr kalte Umgebung von 10 bis 20k (also ca -260°C). In einer solchen Wolke ist man also gut vor der Strahlung der umgebenen Sterne geschützt. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zog die Fotografie in die Astronomie ein und offenbarte den Astronomen viele neue Dunkelwolken, wie man sie nun nannte. Sie sind sozusagen das Gegenstück zu den hellen Gasnebeln, die in vielerlei Variation auch visuell schon gut zu sehen sind. Auch wenn sie unterschiedlicher Erscheinung sind, nicht selten ist es eine Kombination aus beiden, die uns am Himmel erscheinen. Die hellen Gasnebel werden durch Staubwolken durchzogen und geben ihnen das besondere Aussehen.

Der Astronom Edward Emerson Barnard (1857-1923) war seiner Zeit ein Pionier der Astrofotografie. Sein Weg zu den Sternen war ein Beschwerlicher. Barnard wuchs in ärmlichen Verhältnissen als Halbwaise auf. Seine besondere Auffassungsgabe und seine Liebe zum Sternenhimmel brachte ihn an das Lick-Observatorium, wo er später ein Stipendium für die Vanderbild University erhielt. Als Professor für Astronomie arbeitete er an der Chicagoer Universität und wechselte anschließend zur Yerks-Sternwarte. Schon in frühen Jahren entdeckte Barnard Kometen, welche ihm den Zugang zur professionellen Astronomie ermöglichten. Heute verbindet man Barnard, neben seiner Entdeckung des Barnards Pfeilstern, mit der Beobachtung von Dunkelwolken in der Milchstraße. Der Barnard-Katalog der Dunkelwolken enthält 349 Einträge. Übertroffen wird dieser Katalog von Lynds Dark Nebula-Katalog mit 1.791 Einträgen. Die Untersuchung von Gas und Staub in der Milchstraße steht eng mit der Erforschung der Entstehung von Sternen in Zusammenhang. Innerhalb großer Gaswolken findet man an vielen Stellen dunkle Bereiche, sogenannte Globulen. In den Globulen können sich, abgeschirmt von der interstellaren Strahlung, Sterne entwickeln und Planeten entstehen. Wie ein Kokon schützt die Globule den Entstehungsprozess.

Pechschwarze Stelle in der Nähe des Sterns µ Aql
Pechschwarze Stelle in der Nähe des Sterns µ Aql

Nur 42 Bogenminuten östlich des Sterns µ Aql finden wir eine pechschwarze Stelle am Sternenhimmel. Fast scheint es ein Loch im Sternenzelt zu sein. Doch ist es eine dieser Globulen, in denen eine neue Sternengeneration entsteht. E.E. Barnard nahm diese Globule als Eintrag B335 in seinem Katalog auf. In Lynds Katalog findet man ihn unter der Nummer LDN 663 (Lynds Dark Nebula, es gibt auch den LBN-Katalog mit hellen Nebeln, also Lynds Bright Nebula). Bei näherer Betrachtung mit größerer Brennweite wird das Loch im Sternenhimmel sehr deutlich. Man erkennt schön die zunehmende Dichte zum Zentrum der Wolke hin.

Innerhalb dieser Wolke findet ein Sternentstehungsprozess statt, der mit dem Infrarotteleskop SPITZER verfolgt werden kann. Ein Teil des infraroten Lichts kann den kalten Vorhang passieren und gemessen werden. Im Jahr 2007 entdeckte man Auswürfe des Protosterns, die mit hoher Geschwindigkeit die Wolke verlassen (http://ttt.astro.su.se/news/20071011en.html). Diese Erscheinungen sind typisch für derartige Prozesse. Während die Materie scheibenförmig auf den jungen Stern fällt, in sogenannten Akkretionsscheiben, treten an den Polen jetförmige Strömungen elektrisch geladener Teilchen aus, die die Materie auf ihren Weg beschleunigt. Astronomen bezeichnen diese Objekte Herbig-Haro-Objekte. Die Himmelsforscher konnten also die "Eierschalen" des neugeborenen Sterns nachweisen. Somit ist B335 kein Loch im Universum, sondern lediglich ein Vorhang, hinter dem sich geheimnisvolle Dinge abspielen. In einigen Jahren wird dort ein neuer Stern erleuchten und die Globule auflösen. Einen Teil der Globule wird zu neuen Planeten kondensiert sein. Wir sollten B335 also nicht aus den Augen lassen.

Sternfreundliche Grüße,
Christian Overhaus

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