Beobachtungstipp im Mai 2019

Wenn Edwin Hubble die Möglichkeiten gut ausgestatteter Amateurastromomen gehabt hätte, wie hätte seine Klassifikation von Galaxien wohl ausgesehen? Das berühmte Gabeldiagramm, welches links mit den elliptischen Galaxien beginnt und sich dann nach rechts in den Bereich der Spiral- und Balkenspiralgalaxien aufspaltet, ergänzt durch irreguläre Galaxien. Die Stimmgabel deutete Hubble als Entwicklungsverlauf von Galaxien. Große Spiralgalaxien waren seiner Ansicht nach voll entwickelte Galaxien, die aus den elliptischen G alaxien erwuchsen. Diese Theorie wurde im Nachhinein nicht bestätigt. Vielmehr ist es so, dass ein Teil der elliptischen Galaxien durch Verschmelzung von Spiralgalaxien entstanden sind. In den Zentren von Galaxienhaufen finden Astronomen elliptische Galaxien mit gewaltigen Massen. Bekannt ist die Galaxie Messier 87 im Virgohaufen, die einen Durchmesser von 200.000 Lichtjahren besitzt und dort zwei bis drei Billionen Sonnenmassen vereint. Die gewaltigen Gebilde bilden sich unter anderem durch die Verschmelzung von Galaxien. Das sind Vorgänge, die wir an vielen Orten des Weltalls beobachten können. Eben auch unsere Milchstraße scheint in der Vergangenheit einige Zwerggalaxien aufgenommen zu haben. In der Regel sind es Zwerggalaxien wie die Magellanschen Wolken. Größere Zusammenstöße, wie die bevorstehende Kollision mit dem Andromedanebel kommen auch vor, sind aber nicht so häufig. Wechselwirkende Galaxien, also Milchstraßensysteme, die in gravitativer Verbindung zu einander stehen, sind Herausforderungen für die Amateurastronomen. Teilweise sind sie visuell in großen Teleskopen zu beobachten, viele Details erschließen sich aber nur fotografisch. Die digitale Fotografie eröffnet dem Hobbysterngucker dabei erstaunliche Möglichkeiten. Und so findet man nicht selten Aufnahmen von Galaxien, die von einem geisterhaften Halo umgeben sind - leuchtschwache Spuren galaktischer Interaktion. Im Frühjahr beschäftigte ich mich mit der Galaxie NGC 3521, eine helle Spiralgalaxie, die im Sternbild Löwe zu finden ist.

NGC 3521, Spiralgalaxie im Löwe
NGC 3521, Spiralgalaxie im Löwe, Christian Overhaus

Die dabei entstandene Aufnahme zeigt eine schöne Galaxie mit eher schwach ausgeprägten Spiralarmen, dafür aber eine sehr flockige innere Struktur. Weiter draußen außerhalb des Galaxienkörpers erkennt man das geisterhafte Halo der Galaxie. Dieses Halo besteht aus den Resten ehemaliger Zwerggalaxien, die durch die Gezeitenwirkung von NGC 3521 zerrissen und vereinnahmt wurden. Radioastronomen bestätigen die Vermutung. Sie entdeckten bei der Vermessung des Geschwindigkeitsprofils eine schalenartige Struktur. Langzeitbelichtungen bringen noch mehr zu Tage.

NGC 3521, Spiralgalaxie im Löwe, Langzeitaufnahme
NGC 3521, Spiralgalaxie im Löwe, Langzeitaufnahme, Christian Overhaus

Im Nordwesten der Galaxie findet man eine deutliche Ausbeulung, die von einer ehemaligen Begleitgalaxie herrührt. Nach links hinbewegend ist ein schwacher Sternstrom dieser Galaxie zu erkennen. Sicherlich hätten noch einige Minuten zusätzlicher Belichtungszeit den Strom deutlicher hervorscheinen lassen. Erkennbar ist er aber dennoch. Der südliche Teil ist wird ebenfalls vom hellsten Teil des Halos dominiert. Rechts ist eine noch intakte Begleitgalaxie markiert. Sie ist nur 17,3 Mag hell und ist eine LSB-Galaxie, also eine "Low Surface Brightness"-Galaxie. Ihr Abstand von 18 Bogenminuten vom Zentrum von NGC 3521 wiegt sie noch in Sicherheit. Ihr wahrer Abstand dürfte aber bei 300.000 Lichtjahren liegen. Das ist die 6-fache Distanz der Magellanschen Wolken zu unserer Galaxie, also weitaus weniger als der Andromedanebel. Solche Zwerggalaxien begleiten die Spiralgalaxien und werden möglicherweise irgendwann von ihnen vereinnahmt. Es geht aber auch anders herum. Spiralgalaxien können auch neue Zwerggalaxien entstehen lassen. Diese Galaxien entstehen bei Zusammenstößen von Spiralgalaxien. Entsprechend werden sie "Tidal Dwarf Galaxies" genannt, eine deutsche Bezeichnung gibt es anscheinend noch nicht. Gezeitenzwerggalaxie vielleicht. Vom Erscheinungsbild dürften diese Zwerggalaxien an Kugelsternhaufen erinnern. Doch sind die Mitglieder sehr viel jünger. Gezeitenzwerggalaxien enthalten keine ältere Sternenpopulation, sie haben eine hohe Metallizität und es gibt keinen Hinweis auf Dunkle Materie. Diese Zwerggalaxien entstehen in den Gezeitenarmen der sich zusammenschließenden Hauptgalaxien durch starke Sternentstehung. Es sollten also sehr blaue Objekte sein.

NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe
NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe, Christian Overhaus

Die Gezeitenzwerggalaxien sind keine auffälligen Objekte und deswegen sind sie Amateuren auch nicht in großer Zahl zugänglich. Ein bekannteres Exemplar, wenn man von Bekanntheit sprechen darf, befindet sich im Galaxienpärchen NGC 3226/3227 im Sternbild Löwe. Die beiden Galaxien an sich sind im Teleskop bereits reizvolle Objekte. Man kann deutlich das interagierende Paar erkennen. Auf langbelichteten Astroaufnahmen erkennt man die Gezeitenschweife deutlich.

NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe, Langzeitaufnahme
NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe, Langzeitaufnahme, Christian Overhaus

Hier verschmelzen zwei Galaxien, das ist klar. Dieser Prozess führte zu einer Sternbildung, die so aktiv war, dass sich eine junge neue Zwerggalaxie bildete. Die Aufnahme zeigt die beiden Galaxien kontrastverstärkt, so dass die Gezeitenarme zu erkennen sind. Der südliche Teil ist hier nicht zu sehen. Er ist deutlich schwächer und erfordert eine längere Belichtungszeit und eine Kontrasterhöhung, um ihn aus dem Hintergrund herauszuheben. Mit dem Pfeil markiert ist ein kleines diffuses Fleckchen im Halo der Galaxie. Dieser Fleck markiert die neue junge Galaxie, die erst vor wenigen hundert Millionen Jahren entstanden ist.

NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe mit neuer, junger Galaxie
NGC 3226 / 3227 im Sternbild Löwe mit neuer, junger Galaxie, Christian Overhaus

Die Gezeitenzwerggalaxie ist seit 2004 als eine solche bekannt. Die Sternentstehungsrate, die gemessen wurde, wird mit 0,01 Sonnen pro Jahr beziffert. Das ist ordentlich für ein so kleines Objekt. Des Weiteren ergaben die Untersuchungen, dass dort keine alten Sterne vorhanden sind. Die Zwerggalaxie, die auch J1023+1952 genannt wird, ist ein sehr junges Objekt. Die Geschwindigkeit von J1033+1952 unterscheidet sich um 150km/s von NGC 3227 und ist somit höchstwahrscheinlich ein eigenständiges Objekt und keine dort eingebettete HII-Region. Daher ist man sicher, dass es sich hier um eine "Tidal Dwarf Galaxy" (TDG) handelt. Groß ist die Galaxie nicht. Ihr Durchmesser dürfte bei 2.500 bis 3.000 Lichtjahren liegen. Die absolute Helligkeit kann mit -11,3 Mag angenommen werden. Die Leuchtkraft von 3 Millionen Sonnen käme dort zusammen.

Sicherlich sind diese Objekte Exoten und sind nicht unbedingt viel beachtete Ziele unter Amateurastronomen. Sie zeigen aber, dass die Möglichkeiten heutiger Amateure auf hohem Niveau sind und in einigen Bereichen der modernen Astronomie folgen können. Die Helligkeit dieses Objekts dürfte bei 19,5 bis 20 Mag liegen und ist somit etwa 400.000 mal schwächer als die schwächsten Sterne, die man mit dem bloßen Auge sehen könnte - "the sky ist the limit" - kann man sagen.

Clear Skies,
Christian Overhaus

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